Als das Geld stündlich an Wert verlor
Über die Ursachen und katastrophalen Folgen der Hyperinflation 1923 in Wirtschaft und Gesellschaft informiert ein Vortrag von Historikerin Elisabeth Klaper in Sulzbach-Laufen.
Großes Interesse fand der Vortrag „Das Krisenjahr 1923 im deutschen Reich und in unserer Region“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum Ortsjubiläum 1000 Jahre Sulzbach am Kocher. Die Murrhardter Historikerin Elisabeth Klaper erläuterte zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörern im Bürgersaal des Sulzbacher Rathauses, warum es zu der Hyperinflation kam und wie diese sich auswirkte.
Hauptursachen waren der mit Anleihen und Schulden finanzierte verlorene Erste Weltkrieg und hohe Reparationen, Wiedergutmachungsleistungen in Form von Zahlungen sowie Lieferungen von Rohstoffen und Industriegütern. Die Siegermächte begründeten diese Verpflichtung im Vertrag von Versailles mit der deutschen Verantwortung für den Krieg und die enormen Schäden vor allem in Frankreich. 1921 legten sie die Gesamtsumme auf 132 Milliarden Mark fest, was die Weimarer Republik wirtschafts-, innen- und außenpolitisch enorm belastete. Bezahlt wurden insgesamt etwa 25 Milliarden bis 1932, als das Reich das Ende der Reparationen erreichte.
Die Ermordung von Außenminister Walther Rathenau im Juni 1922 durch rechtsradikale ehemalige (Marine-)Offiziere der Geheimorganisation „Consul“ führte zu starkem Vertrauensverlust im Ausland, wodurch sich der Wertverfall der Mark beschleunigte, der bereits Ende des Ersten Weltkriegs begann. Nach Rückständen bei Materiallieferungen befahl der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré im Januar 1923 die Besetzung des Industriezentrums Ruhrgebiet durch französische und belgische Truppen.
Laut dem französischen Historiker Benjamin Volff befürchtete Frankreich, die Deutschen wären immer noch bereit, wieder zu den Waffen zu greifen, was aber nicht zutraf, da Heer und Marine bereits verkleinert und abgerüstet waren. Die Regierung rief Industrie, Verwaltung und Bevölkerung des Ruhrgebiets zum passiven Widerstand, also Generalstreik auf, wodurch fast alles stillstand. Die Folge waren unzählige Schikanen, Misshandlungen und Gewaltakte der Besatzer mit über 100 Todesopfern. Trotz Bewachung verübten Links- und Rechtsradikale zahlreiche Sabotageakte vor allem gegen die Eisenbahninfrastruktur, um den Kohletransport zu behindern. Viele (Eisenbahn-)Beamtenfamilien wurden ausgewiesen, ein paar fanden beispielsweise in der Murrhardter Pension „Kaffeemühle“ Unterkunft.
Ab April setzte Frankreich Arbeiter und Eisenbahner aus dem Elsass und Lothringen ein, was die Wirkung des Streiks schwächte. Der Staat finanzierte die Lohnfortzahlung für die Arbeiter im Ruhrgebiet mithilfe der Gelddruckmaschinen, was die Inflation enorm beschleunigte und den Staatshaushalt so stark belastete, dass der passive Widerstand Ende September abgebrochen werden musste. Ende 1923 schlossen Frankreich und das deutsche Reich auf Druck der USA und Großbritanniens ein Abkommen, um die Ruhrbesetzung zu beenden, doch erst im September 1925 war der Abzug der Besatzungstruppen abgeschlossen.
Am Beispiel der Stadt Murrhardt zeigte die Referentin auf, dass trotz der Krise das öffentliche Leben weiterging, Veranstaltungen aller Art stattfanden und sich neue Vereine gründeten. Die Innenstadt war eine Großbaustelle wegen den Kanalisationsarbeiten, wobei man römische Gefäße aus der einstigen Zivilsiedlung beim Kastell fand, die heute im Carl-Schweizer-Museum ausgestellt sind. In den Sommerferien feierten rund 500 Kinder, darunter auch über 40 kleine Gäste aus dem Ruhrgebiet, ein Kinderfest am Festplatz Römersee, etwa einen Kilometer oberhalb der Stadt im Wald gelegen. Im September gründete sich die „Lichtspielgemeinde Murrhardt“ als Ersatz für unerschwingliche Theaterbesuche: Im Saal des Gasthofs „Stern“ flimmerten Stummfilme über die Leinwand.
In der Hyperinflation wurden Geldscheine knapp, weshalb viele Städte wie Murrhardt und Gaildorf ab August Notkassenscheine in üblicher Stückelung mit immer höheren Nennwerten bei örtlichen Druckereien drucken ließen, die auch die Lokalzeitungen herstellten. Die Murrhardter Scheine zeigten das Stadtwappen und Wahrzeichen wie die Walterichskapelle und die Stadtkirche. Die Gestaltung lässt vermuten, dass möglicherweise der Künstler Reinhold Nägele die Vorlagen lieferte. Weil das Geld immer weniger wert war, nahm der Tauschhandel von Gebrauchsgegenständen gegen Lebensmittel oder Goldmark und umgekehrt stark zu.
Die Stadtverwaltung unterstützte die steigende Zahl Bedürftiger so gut es ging und kaufte beispielsweise Lebensmittel. Zugleich nahm die Verwaltungsarbeit stark zu: Hilfskräfte mussten eingestellt und die Öffnungszeiten des Rathauses verkürzt werden, auch benötigte man immer höhere Kredite erforderlich, um die städtischen Aufgaben zu erfüllen. Im Spätherbst fiel der Wert der Mark stündlich, man musste schnellstmöglich das Nötigste mit Waschkörben oder Schubkarren einkaufen. Die Folgen der Hyperinflation waren katastrophal: Weite Teile der Bevölkerung verloren ihre Ersparnisse und konnten vom hart erarbeiteten Lohn kaum mehr leben, die wertlosen Geldscheine dienten als Kinderspielzeug und Brennmaterial.
Ende Oktober begann die Geschichte des Rundfunks und Radios mit der ersten Sendung in Berlin, Musik und Vorträge dienten auch als Ablenkung. Links- und rechtsradikale Kräfte nutzten die Krise zu separatistischen Aktionen in verschiedenen Gebieten. Im Rheinland wurde am 21. Oktober die „Freie und unabhängige Rheinische Republik“ ausgerufen, in München scheiterte der Putschversuch der Nationalsozialisten am 8./9. November. Leider unterschätzten die Behörden die Gefährlichkeit Adolf Hitlers, der viel zu milde bestraft wurde.
Ab Mitte November gelang es nach Einführung der Rentenmark, gedeckt durch eine Grundschuld von Landwirtschaft und Gewerbe, und harten finanzpolitischen Maßnahmen die Hyperinflation zu beenden. Die Wirtschaft stabilisierte sich rasch auch dank US-Krediten und Investitionen, es folgten die „Goldenen Zwanziger Jahre“ bis zum Börsencrash im Oktober 1929, als eine große Aktienspekulationsblase platzte. Dies löste die Weltwirtschaftskrise aus, die das Reich hart traf, Millionen wurden arbeitslos. Die durch diese Krisen verursachte Not breiter Bevölkerungsschichten ermöglichte die nationalsozialistische Diktatur ab 1933.